Über TRANSFORMATION wird viel gerede

Wir befinden uns, unübersehbar, in einem rasanten und heftigen Transformationsprozess. Vieles kommt in Bewegung, Entwicklungen beschleunigen sich. Das Leben will neue Lösungen.

Veränderungen erzeugen starke Gefühle, wenn es gut geht, Begeisterung und Freude, meist jedoch erst mal Angst. Das lässt sich auch durch positives Denken nicht wirklich ändern. Die einen fallen in Erstarrung, andere in Aktionismus, beides eine Art der Verdrängung, wie mir scheint. Ich selbst möchte lernen, meine Angst willkommen zu heißen, sie zu fühlen, zu betrachten und zu würdigen. Ich merke, solch ein Satz ist leicht geschrieben, doch wenn ich versuche, mir deutlich zu machen, was er tatsächlich bedeutet, wird es ungemütlich. Die Angst ist da.

Vieles ist in Bewegung, Vertrautes scheint zu entgleiten. Es ist davon auszugehen, dass ein neuer anderer Zustand der Ruhe und Stabilität nicht erreicht werden wird.

Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft mag also trügerisch sein. Darum sollten wir, soweit möglich, unser Leben mit allem, was dazu gehört, so gestalten, dass es jetzt gut und akzeptabel ist.

Was kann dabei helfen?

Wahrnehmung. Wahrnehmung braucht offene Sinne und ein gewisses Innehalten. Das, was dann wahrgenommen wird, braucht einen gewissen Raum, um aufgenommen werden zu können. Habe ich ein gewisses Maß an freiem Raum, an Freiraum, um wichtiges, neues empfangen zu können?

Loslassen von Vorstellungen, wie etwas sein sollte. Feste Normen und Erwartungen, mitunter auch Wertvorstellungen geben zwar einerseits Halt, können aber in Zeiten starker Veränderung einengen und erforderliche Flexibilität erschweren. Dinge, die möglicherweise überholt sind, aufrechterhalten zu wollen kostet viel Kraft, die für neues genutzt werden könnte.

Achten auf den psychischen und besonders den körperlichen Zustand meiner selbst und meines Gegenübers. Der Körper ist oft „schlauer“ als der Kopf. Körperwahrnehmung, Meditation etc. können helfen, „das Karussell abzubremsen“ und Zugänge zu Intuition und höherem Wissen öffnen.

Achten auf das, was leicht unbeachtet bleibt und bisher möglicherweise nicht gesehen und genügend respektiert wurde. Was oder wer in meinem System sollte mehr Beachtung bekommen?

Störungen im Ablauf sollten als „willkommen“ angenommen werden. Möglicherweise zeigen gerade die Störungen wichtige, übersehen Dinge auf und öffnen Auswege.

Widerstände sind Energie, die möglicherweise die Transformation unterstützen kann.

Um tiefgreifende Veränderungsprozesse „überleben“ zu können, braucht es ein ausreichendes Maß an Punkten, die stabil bleiben. Was in meinem Leben bleibt, auch bei heftigen Veränderungen, verlässlich und tragfähig, gibt mir Halt?

Aber auch grundlegendes mag sich verändern. Gibt es dennoch Dinge, die, zumindest vorübergehend, stabil und verlässlich bleiben? Was sollte, wenigstens vorerst, besser losgelassen werden? Später mag der Blick sich verändern und weiter werden, und manches zeigt sich klarer.

Es ist, wie es ist, Annehmen ist der beste Weg, lebendig und in Bewegung zu bleiben. Das braucht Mut und Humor und gute FreundInnen.

Hilfe wird sich einfinden.

Trauerfall Corona - Versuch einer Deutung

Vor kurzem war ich zur Supervision in einem Team, dessen Mitarbeitende durch ihre Arbeit viel tun haben mit Menschen in schwerer Krankheit, mit Sterben und mit Trauer.

Im Raum war eine recht angespannte Situation spürbar. Schon bei der Einstiegsrunde zur aktuellen Befindlichkeit der einzelnen zeigten sich heftige Gefühle, die sich verschieden äußerten. Neben Erschöpfung, fast lethargischer Erstarrung, neben Angst oder bedrückter Stimmung zeigten sich ebenso Rebellion, Wut oder auch Zynismus bei den Anwesenden. Im Mittelpunkt stand die aktuelle Corona-Lage und die Auseinandersetzung mit den neusten Verhaltensrichtlinien seitens der Regierenden sowie deren Auswirkungen auf Arbeits- und Privatleben.

Die verschiedenen Haltungen waren stark emotional beladen. Ein Streit zwischen „richtig“ und „falsch“ deutete sich an. Durch die hohe Emotionalität schien ein gegenseitiges Verstehen in weite Ferne gerückt und damit ein differenziertes, konstruktives Supervisionsgespräch kaum möglich zu sein.

Mir kamen die Gefühle, die zu einem heftigen Trauerprozess gehören, in den Sinn, wie sie von Verena Kast und Elisabeth Kübler Ross beschrieben wurden. Ja Natürlich! In der gegenwärtigen Situation gibt es Grund zum betrauern. Trauer ist die folgerichtige Reaktion auf einen ernsten Verlust. Und wir erleiden in dieser Zeit tatsächlich vielfältige Verluste. Persönliche Freiheiten sind zum Teil signifikant eingeschränkt, vertraute und geliebte Tätigkeiten können nicht ausgeübt werden, gewohnte Abläufe bei Arbeit und Ausbildung sind gestört oder ganz unmöglich. Bei manchen Berufsgruppen kommt es zu erheblichen Mehrbelastungen bis hin zu völliger Überforderung und entsprechender Erschöpfung. Nicht wenige verlieren ihre Gesundheit, sogar ihr Leben, oder sie erleiden den Verlust geliebter Angehöriger.

Dazu kommt die Angst, es wird lange nicht wieder wie vorher.

Besonders bemerkenswert ist für mich, dass Menschen in verschiedenen Arbeits- und Lebensbereichen diese Krise so unterschiedlich erleben. Und jeder reagiert auf seine ganz eigene Weise. Das führt zu gegenseitigem Nichtverstehen und zu Schuldzuweisungen. Unser Gefühl für gesellschaftliche Zusammengehörigkeit schwindet. Die ohnehin schon zu beobachtenden Prozesse von Spaltungen in der Gesellschaft verschärfen sich. Das Vertrauen in demokratische Problemlösungsstrategien und die Hoffnung auf Konsensfähigkeit erleiden Schaden.

Unser Leben war für Jahrzehnte geprägt von relativer Planbarkeit und Sicherheit. Viele Bedürfnisse konnten immer besser befriedigt werden, wenn auch der Preis dafür eine hohe Stressbelastung und allgemeine Anspannung war.

Nun kommt ein Virus in unser System und schreibt ein dickes Fragezeichen unter alles, was wir zur Gewohnheit gemacht und mit Mühe aufrechterhalten haben. Das grundsätzliche Vertrauen in die Unverletzlichkeit unserer Lebensverhältnisse schwindet dahin. Tiefe Verunsicherung, Ängste und Trauer sind die logische Folge.

Frau Knast, Frau Kübler-Ross und andere haben beschrieben, welche heftigen und verwirrend gegensätzlichen Gefühle bei einem Trauerfall zu erwarten sind. Niedergeschlagenheit, Auflehnung,  nicht wahrhaben wollen, Wut und Zorn, Verzweiflung und Rationalisieren sind also „normal“ in unserer Situation.

Zudem wissen und akzeptieren wir inzwischen, dass jeder Mensch seinen eigenen, ganz individuellen Trauerprozess durchläuft. Die beschriebenen Phasen können in verschiedener Reihenfolge und Intensität auftreten. Auch das ist normal, ist richtig, ist gültig.

Wichtig ist es jedoch, diesen Gefühlen Raum zu geben, sie zu sehen und wertschätzend zu respektieren statt sie als „falsch“ oder unangemessen zu verurteilen, möglicherweise zu verdrängen.

Ich meine, im Wissen darum kann es uns einzelnen als Individuum und uns als Gemeinschaft helfen, wenn wir mehr betrachtend, wahrnehmend, wertschätzend auf unser eigenes Befinden und auf das anderer blicken.

Als Therapeut weiß ich, dass im Wahrnehmen und respektieren von starken Emotionen die Chancen für deren Verarbeitung und Integration liegen.

Unterschiedliche Haltungen und Überzeugungen wirken trennend. Aus Unterschied und Unverständnis wird leicht Antipathie und dann Feindschaft. Wenn wir uns selbst und unser Gegenüber aber mit Empathie und positiver Wertschätzung, wie Carl Rogers es mit seinen „Basisvariablen“ beschreibt, annehmen lernen, mag uns das wieder mehr aufeinander zu führen. So können wir ganz wir selbst und zugleich offen für das andere sein. Kräfte und Energien, die jetzt spalten, können frei werden für kreative und mutige Lösungsansätze.

Wenn wir die gegenwärtige Situation als Trauerfall bzw. Prozess begreifen, mag das ein Ansatz zu dessen gemeinsamer konstruktiver Verarbeitung werden.

Wenn das gelingt, bietet die Corona-Krise vielleicht tatsächlich Chancen für einen Prozess des Umdenkens. Gründe, mutig neue Möglichkeiten zu denken und umzusetzen, haben wir zweifellos reichlich.

Veränderungen brauchen Mut und Entschlossenheit. Sind Sie, seid Ihr bereit, gemeinsam nach neuen Wegen zu suchen? Das frage ich mich selbst natürlich auch.

Zur Zeit sind die Tage noch kurz und die Nächte lang. Die Sehnsucht nach neuem Licht wird mächtig. Zeit der Hoffnung in dunkler Zeit, Quelle für Freude und Dankbarkeit,

oder „wenn die Nacht am tiefsten ist - ist der Tag am nächsten.“

frei nach Rio Reiser 1975

 

20 Jahre Büro für ausländische Mitbürger*innen beim Ev. Kirchenkreis Erfurt

Die Arbeit für und mit Menschen, die aus anderen Ländern nach Thüringen gekommen sind, um hier zu leben, gehört schon seit den 80er Jahren zum Tätigkeitsfeld der Evangelische Kirche In Erfurt. Was als ehrenamtliche Tätigkeit und später als Teil der evangelischen Stadtmission Erfurt begann, ist heute fester Bestandteil des evangelischen Kirchenkreises der Stadt.

Das Büro für ausländische Mitbürger'innen feierte 2020 sein 20-jähriges Bestehen als Teil des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt.

Da aus bekannten Gründen ein angemessener Festakt nicht stattfinden konnte, Entschieden die Verantwortlichen, „Wegbegleite“ der 20-jährigen Arbeit durch ein Video-Interview auf der Homepage des Büros zu Wort kommen zu lassen.

Ich erhielt den Auftrag, diese Interviews durchzuführen und aufzuzeichnen. Sie können nun auf der Internetseite des Büros für ausländische Mitbürgerinnen Mitbürger angeschaut werden. Zu meinen InterviewpartnerInnen zählten Migrantinnen und Migranten aus verschiedenen Ländern und Nationalitäten aber auch Vertreter der evangelischen Kirche, Mitarbeiter des Büros und Politiker des Freistaates Thüringen. Es war mir eine große Freude, so mit sehr interessanten und hoch engagierten Menschen reden zu können. Wenn ich auch, besonders den Vertretern aus der Politik, gern viel mehr Fragen gestellt hätte, als es das Zeitbudget zuließ, erfuhr ich doch viele interessante und zum Teil berührende Einzelheiten.

Wenn sie sich einen Einblick verschaffen möchten nutzen Sie bitte folgenden Link: https://www.auslaenderberatung-erfurt.de/aktuelles/videos